Leben im Sperrgebiet / Tag 11

Die Stimmung kippt. Eine Abflachung der Kurve ist noch nicht erkennbar, die Zahlen indes erschrecken immer mehr. Experten sprechen gar von einer zehn Mal höheren Dunkelziffer. Gestern Abend hat uns die Region Marken erstmals genauere Zahlen zur Verfügung gestellt – und die sind sogar schon einige Tage alt. Stand da: In meinem Heimatort, Osimo, gab es schon vor einigen Tagen insgesamt 22 Infizierte.

Tag 11 im Sperrgebiet: Ausblick in Richtung des Monte Conero. (Foto: Nadine Jansen)

Ansteckungsrisiko und Dunkelziffer

Italienweit sind es aktuell 37.860 Fälle, so genannte “active cases”. Hinzu kommen 5129 Personen, die die Infektion überstanden haben und als geheilt gelten sowie mittlerweile 4032 Tote (weitere Zahlen unten). Da die Dunkelziffer laut Experten etwa zehn Mal höher liegen soll, sind in Italien vermutlich rund eine halbe Million Menschen infiziert. Auf eine Gesamtbevölkerung von rund 60 Millionen Personen gerechnet, ist das jeder 120.

In Italien werden in den meisten Regionen jedoch meist nur dann Abstriche gemacht, wenn Personen bereits starke Symptome zeigen. Das bedeutet leider auch, dass davon auszugehen ist, dass andere Erkrankte sowie asymptomatische Virusträger weiterhin unterwegs sind – sie gehen zur Arbeit, in den Supermarkt, versorgen in einigen Fällen sogar ältere Leute.

Geschichten von Betroffenen hört man jetzt immer öfter – auch von jüngeren Betroffenen. Gestern ist bei uns in der Region eine 27-Jährige gestorben. Sie soll Vorerkrankungen gehabt haben. (Per Klick: Hier geht es zum Beitrag über die Vorerkrankungen, unter denen viele der Toten gelitten haben.). Welche, ist (noch) nicht bekannt. Denkt bitte auch daran, dass hier auch Bluthochdruck oder Diabetes bei den Vorerkrankungen mit eingerechnet werden. Beides keine Erkrankungen bei denen man unmittelbar denken würde, dass sie im Zusammenspiel mit dem Coronavirus tödlich sein könnten. Denn wer kennt nicht Personen, die an Bluthochdruck oder Diabetes leiden?

Immer mehr Einschränkungen auf längere Zeit

Während das Coronavirus vor allem anfangs weit weg war (sowohl geographisch als auch gefühlt), rückt es in der täglichen Wahrnehmung immer näher. Wirklich sicher fühlen wir uns nur zu Hause. Das macht die Ausgangssperre erträglicher. Und die wird noch lange nicht vorbei sein. Per Dekret sind die Ausgangsregeln weiter verschärft worden. Zu viele Personen haben davon profitiert, dass die Ausübung von Sport im Freien (mit gebührendem Abstand) weiter erlaubt war. Plötzlich gingen Leute joggen, die sich gefühlt zuletzt in der Grundschule sportlich betätigt haben. Viele andere wichen auf Spaziergänge aus. Das wird jetzt weiter eingeschränkt: Auch wer seinen Hund ausführen muss, soll mit ihm in der Nähe des eigenen Hauses oder der eigenen Wohnung bleiben.

Noch einmal der Appell der Behörden: Häuser und Wohnungen sollen nur aus unvermeidbaren Gründen verlassen werden: medizinische Gründe, zur Deckung des Grundbedarfs und Arbeitsverpflichtungen, die die Arbeit im Home Office nicht möglich machen. Der Besuch von Schule oder Kindergarten gehört nicht dazu. Vermutlich für sehr lange Zeit. Wir befinden uns an Tag 11 von 24 der Ausgangssperre. Es ist utopisch zu glauben, dass das Leben danach wieder weitergeht wie zuvor. Die Fallzahlen sind noch zu hoch, es gibt zu viele unentdeckte Virusträger, bislang gelten gerade einmal zehn Prozent der Patienten wieder als gesund. Zudem hat Ministerpräsident Conte bereits angekündigt: “Die Ausgangssperre wird verlängert.”

Also harren wir weiter aus.

Wir warten auf die neuen Zahlen.

Wir hoffen auf eine Abflachung der Kurve.

Wir beten dafür, dass die Betroffenen sich wieder erholen.

Wir warten auf weitere Ansagen der Regierung.

Wir rechnen derzeit mit allem…

Tag 11 von 24 zu Hause

  • Der Kühlschrank ist wieder voll. Gestern war mein Mann einkaufen. Hefe, Brot und Bananen waren aus. Wir essen weiterhin Toast und Milchbrötchen zum Frühstück.
  • Start in den Tag (nach dem Frühstück): Kinder-Yoga auf dem Balkon mit “Hände vors Herz” (Amazon-Link). Das gehört bei uns jetzt einfach mit dazu (eine Besprechung müsste ich eigentlich auch noch schreiben, aber vorherrschendes Thema ist hier einfach Corona und es belastet immer mehr).
  • Ich störe mich weiterhin an dem Begriff “Coronaferien”, der in Deutschland immer häufiger verwendet wird. Es sind keine Ferien, versteht das doch bitte endlich!
  • Zum letzten Mal in dieser Woche: Recherchieren und Texten für den Ticker der Verkehrsrundschau. Dann ist Wochenende. Wobei: Wir verlieren hier jedes Zeitgefühl. Es ist schwierig, überhaupt noch zu wissen, welchen Wochentag oder welches Datum wir haben. Keine wöchentlichen Termine mehr, kein Kindergarten, keine Verabredungen am Wochenende.
  • Auf meinem Schreibtisch liegen Osterkarten. Abschicken werde ich sie in diesem Jahr nicht. Die Post hat zwar geöffnet (Per Klick: Beitrag über die Arbeit der Post zu Coronazeiten), aber ich traue mich nicht hin.
  • Heute kam ein Paket aus Deutschland bei uns an. Von meinen Eltern. Zuvor war es fast einen Tag im Verteilzentrum in Piacenza – auch einem der besonders betroffenen Orte. Ausgepackt haben wir mit Handschuhen. Man weiß ja nie – und das Virus soll auch über Stunden oder gar Tage an Oberflächen haften…

https://www.facebook.com/Italienkrise/posts/103175041317757

Coronavirus: Die Zahlen vom Abend

Tag 11 des Lockdowns in Italien. Wir schauen mit Spannung auf die Zahlen vom Abend. Es sind nur noch zwei Tage bis Sonntag. Müsste die Kurve nicht langsam etwas abflachen? Funktionieren die Maßnahmen? Können wir endlich etwas aufatmen? Das Errichten von Triage-Zelten, Feldkrankenhäusern und die Pläne, die Messe in Mailand in ein Krankenhaus umzurüsten, erschrecken.

Diese Zahlen gab der Zivilschutz am heutigen Abend bekannt:

  • 627 (!!!) zusätzliche Tote (jetzt 4032 Tote insgesamt – zum Vergleich: in China sind bislang 3245 Personen verstorben)
  • 5986 zusätzlich positiv getestete Personen (bislang 47.021 Infektionen)
  • 5129 Personen gelten als geheilt
  • 37.860 Personen sind aktuell erkrankt, 2655 davon befinden sich in einem kritischem Zustand

Situation bei uns in den Marken: In den vergangenen 24 Stunden sind 250 weitere Personen positiv getestet worden. Damit gibt es bislang 1981 Fälle in den Marken (davon sind 136 Personen im Alter zwischen 27 und 97 Jahren verstorben, bislang ist in den Marken noch niemand genesen). 154 Personen liegen hier in der Region auf den Intensivstationen. Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerungszahl in den Marken von 1.525.271 Personen beträgt das Ansteckungsrisiko derzeit 1: 770. Aufgrund der vermutlich hohen Dunkelziffer oder der noch nicht getesteten Personen sowie der langen Inkubationszeit ist das tatsächlich Ansteckungsrisiko wahrscheinlich sehr viel höher.

Neuigkeit um 18.30 Uhr: In den vergangenen 24 Stunden hat es in den Marken weitere 27 Todesopfer gegeben. Zum Durchschnittsalter der Verstorbenen und ihren Vorerkrankungen findet Ihr mehr im gestrigen Beitrag.

<

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert